Newsletter & Kolumnen von Avanti Papi


Kolumne MännerZeitung September 2011

Bärte und Geheimnisse
Das letzte Mal, dass ich mich über den Samichlaus gefreut habe, war vor dreissig Jahren. Ich war zwölf Jahre alt und das erste Jahr im Gymnasium, noch voller Elan und Fleiss. Die älteren Klassen organisierten am 6. Dezember für die ersten Klassen einen Samichlaus, d.h. wahrscheinlich verkleidete sich ein angehender Maturand als Samichlaus und stiefelte von Klasse zu Klasse, um einen grossen Sack mit Nüsschen, Mandarinen und Schokolade zu verteilen. Nicht, dass ich noch an den Samichlaus geglaubt hätte, nein. So naiv war ich nicht mehr. Aber gefreut habe ich mich und ich muss zugeben, dass ich sogar recht nervös war, obwohl ich zu dieser Zeit noch keinen Grund hatte zu befürchten, dass ich die Fitze bekommen könnte. Ich kann also eigentlich nicht so recht erklären, wie meine Freude zustande kam. Als Kind war der Samichlaus natürlich schon eine faszinierende Figur und ich erinnern mich an einen Super - 8 –Film aus den frühen Siebzigerjahren, welchen mich als Dreikäsehoch vor dem Nikolas zeigt, nervös von einem Bein aufs andere wankend und, hätte es zu dieser Zeit schon Tonfilme gegeben, man hörte bestimmt mein Stottern beim Rezitieren des Gedichtes. Gross war auch jeweils die Freude, wenn wir in der Stadt das Märlitram sahen, welches ja vom Samichlaus gefahren wird. Obwohl ich es schon früh ahnte, war ich mir doch lange Zeit nicht so sicher, ob es nicht tatsächlich der echte Samichlaus ist, der da für die VBZ seine Runden fuhr, und selbst als es dann mit der Zeit doch klar war, ging der Zauber nie so richtig verloren.
Und was hat das Ganze mit Sex zu tun? Nein, es geht nicht um das Geheimnis, ob ich auf Männer mit Bart und roter Robe stehe, und ich wünsche mir auch nicht im Geheimen Sexspielchen mit der Rute. Es geht darum, dass der Zauber verloren geht, wenn das Geheimnis gelüftet wird. Wenn im Oktober schon die ersten Schoggisamichläuse in den Regalen der Grossverteiler stehen, wenn im November dann an jeder Hauswand ein Samichlaus die Fassade hinaufklettert und im Dezember vierzig Samichläuse mit sexy Samichläusinnen auf ihren Harley- Davidsons durch die Zürcher Altstadt donnern – unter begeisterten Blicken der erwachsenen Passanten notabene – dann, ja dann verliert das Geheimnis um den Samichlaus definitiv seinen Zauber und das Leuchten in den Kinderaugen verschwindet immer früher. Ähnlich verhält es sich mit dem Geheimnis rund um die Sexualität. Aufklärung tut Not und in angebrachter Form darf sie von mir aus auch schon im Kindergarten beginnen, aber ich möchte gar nicht alles über die Sexualität wissen, weder über die weibliche noch über meine eigene. Ich wünsche meinen Kindern, dass sie (und nicht die Werbung, nicht das Internet und nicht die Handyfilmchen) die Geheimnisse eines nach dem anderen lüften und dass am Ende trotzdem das eine oder andere ein Geheimnis bleibt, auf dass der Zauber, der die Sexualität im besten Fall begleitet, nie verloren geht.

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