Newsletter & Kolumnen von Avanti Papi


Kolumne MännerZeitung September 2010

Albanien ist nahe
Eine Reise nach Albanien kann helfen, die Welt zu verstehen.

Wurden Sie schon mal mit einem Fluch belegt? Ich schon, wenn ich die Blicke der Putzfrau in einem albanischen Hotel richtig interpretiere, mit welchen sich mich bedachte, als ich mit unserer 4 Monate alten Tochter auf dem Arm auftauchte. Wurde Ihnen schon mal um Mitternacht im Liegestuhl am Strand als Gastgeschenk ein gebratener Fisch serviert? Mir schon, vom Besitzer des gleichen Hotels am Ohridsee in Albanien, wo wir unsere Sommerferien verbrachten. Eine zugegebenermassen etwas exotische Destination für Familienferien.
Die Schulkollegen meiner Kinder stammen aus den verschiedensten Ländern dieser Erde und sie wachsen zusammen in einer multikulturellen Umgebung auf. Doch oft sind die kulturellen Schranken höher als die sprachlichen. Im Gegensatz zu den Eltern fällt es Kindern zwar leichter Kontakt herzustellen, doch gibt es auch unter ihnen viele Vorurteile, die meist auf Unwissen und/oder Unverständnis gründen. So entstand vor einigen Jahren die Idee, in den Ferien jeweils ein Land, aus welchem die Schulkollegen kommen, zu besuchen. Die Wahl fiel letzten Sommer auf Albanien.
Eingangs erwähnter Hotelbesitzer lebte sieben Jahre als Sanspapier in London, so dass er uns in fliessendem Englisch Land und Leute näher bringen konnte und er war auch der einzige, welcher sich nicht darüber wunderte, dass ich unser Baby im Babybjörn trug, welcher in Albanien im allgemeinen (und an Männern im speziellen) unbekannt zu sein scheint.
Ich kann mich noch erinnern, dass ich vor acht Jahren auch in der Schweiz die Blicke auf mich zog, wenn ich mit dem Baby im Tuch durch die Strassen lief, in Albanien jedoch waren die Blicke weniger wohlwollend, sondern vielmehr kritisch bis abwertend (und zwar von Frauen und Männern).
Davon einmal abgesehen ist Albanien als Ferienland durchaus zu empfehlen: Wenig Verkehr, einsame Strände und sehr gastfreundliche Menschen. Man sollte sich allerdings nur mit dem eigenen Auto fortbewegen und, falls man keinen 4x4 Antrieb hat, auch nur auf den Hauptstrassen. Obwohl die Moderne auch hier mit Handy und Internet Einzug gehalten hat, herrscht bezüglich Rollenteilung zwischen Mann und Frau noch eine Mentalität, wie wir sie in der Schweiz vor ca. 50 Jahren kannten. Aber auch eine Gastfreundschaft, wie sie in der Schweiz verloren gegangen scheint. So machten wir unterwegs einen Abstecher in einen Nationalpark, welcher auf der Karte nach zwanzig Minuten Fahrt aussah, sich aber der schlechten Strassen wegen als zweistündiges Schotterpistenabenteuer heraus stellte. Die dortigen Förster (die einzigen Anwesenden nebst uns) konnten uns mit Händen und Füssen verständlich machen, dass wir besser nicht weiter fahren, da die «Strasse» nur noch schlechter würde. Ausserdem erkannten sie richtig, dass wir zur Mittagszeit ohne Proviant unterwegs waren und so bedeuteten sie uns vor der Rückfahrt noch kurz zu warten, damit sie uns etwas Kleines mit auf den Weg geben könnten. Nach ein paar Minuten brachten sie uns eine Tüte mit Essen, mit welchem wir gleich zwei Familien hätten ernähren können. Unsere Buben schwärmen noch heute von der erlebten Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft, welche sie in der Schweiz in dieser Art noch nicht erlebt haben. So hat die Reise nebst viel Erholung hoffentlich auch dazu beigetragen unsere albanischen (und kosovarischen) Mitbürger etwas besser zu verstehen. Heute sehe ich albanische Väter, die ihre Kinder in die Schule begleiten oder an einen Elternabend kommen mit anderen Augen und denke, dass es auch in der Schweiz noch nicht lange her ist, dass sich Väter für ihre Kinder engagieren. Zurück in der Schweiz wurde ich nämlich im Volg in Wassen, kurz nach dem Gotthard, von einem alten Mann mit Hut und Bart angesprochen, der meinte, dass das Baby im Babybjörn am falschen Ort sei. Auf meine Antwort, dass es dem Baby doch gut gehe im Björn, meinte er nur: «Aber es gehört doch zur Mutter.»

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